«Ein Modell macht den Bau begreifbar»

«Ein Modell macht den Bau begreifbar»

Die Modellwerkstatt der HTW Chur erbringt Leistungen für externe Auftraggeber, aber auch für die Fachhochschule selbst. Der Wissensplatz besuchte die Dienstleistungsstelle und erfuhr unter anderem, wieso es trotz den Möglichkeiten im virtuellen Raum noch reale Modelle braucht.

«Basteln Sie uns mal ein Modell!» – Solche und ähnliche Aufforderungen erhält Thomas Kamm von seinen Auftraggebern leider nicht selten. Der Leiter der Modellwerkstatt des HTW-Instituts für Bauen im alpinen Raum leidet unter dem Ruf des Bastlerberufs. «Viele sehen leider nicht, was wirklich alles dahintersteht», erklärt der erfahrene Architektur-Modellbauer. Dabei brauche es eine hohe technische Kompetenz, ein ausgeprägtes Raumplanungswissen und auch ein architektonisches Flair für den Bau von Modellen. Auch die professionelle Infrastruktur darf dabei nicht fehlen. «Modellbau ist kein Bastelberuf », betont Kamm, während er die Türen seiner Werkstatt öffnet.

Hier sind in den letzten sieben Jahren unzählige Modelle für die unterschiedlichsten Anwendungen hergestellt worden. Pro Jahr entstehen in der Modellwerkstatt zwischen 30 und 50 Modelle. Sie können als Kommunikations-, Planungs- und Verkaufsinstrumente dienen. Das können architektonische Bauten oder Stadtmodelle sein, die als Planungsgrundlage verwendet werden. Häufig erstellt Kamm auch Modelle für Architekturwettbewerbe. Eines seiner spannends- ten Projekte waren Modelle für einen Brückenwettbewerb. «Die Modelle haben gezeigt, wie die verschiedenen Brücken das Landschaftsbild verändern und wie das Ganze zum Schluss aussehen könnte.»

Dienstleistung von Grund auf

Der Modellbau ist in erster Linie eine Dienstleitung. In der Werkstatt werden Aufträge von aussen realisiert, also Profimodelle für Architekten, Ingenieure, Bauämter und Gemeinden hergestellt. Der Prozess beginnt aber schon viel früher: bei der kompetenten Beratung. «Die meisten Auftraggeber wissen gar nicht, welche Informationen es braucht, um ein Modell zu erstellen und vor allem, wie sie diese beschaffen können», erklärt Kamm. Meistens erhalten die Modellbauer nur eine einfache Skizze einer Situation mit einem kurzen Beschrieb, wofür das Modell verwendet werden soll.

«Wir haben in der Werkstatt jedoch die Möglichkeit, weiterführende Dienstleistungen anzubieten. Insbesondere organisieren wir die Daten, die es für ein solches Projekt braucht.» Danach werden anhand des Katasterplans und fotogrammetrischer Daten, die die Werkstatt aus externer Hand bezieht, die Höhenkurven gezeichnet und ein Grundlagenmodell erstellt. «Das ist eine spezialisierte Arbeit, die nicht viele Modellbauer anbieten können.» Unter einem Grundlagenmodell versteht man dabei ein Modell, das die Umgebungssituation, also das Gelände, abbildet, worauf später das Projekt gebaut wird.

Thomas Kamm kann aufgrund seiner langjährigen Erfahrung eine umfassende Beratung anbieten. Oft erstellt er für den Kunden auch eine sinnvolle Modellbeschreibung, anhand derer danach die Ausschreibung für den Auftrag des Modellbaus gemacht werden kann. «Aus der Beratung entsteht der Auftrag, der offiziell ausgeschrieben wird, und wenn alles passt, erhalten wir ihn manchmal auch.»

Mehr Modelle als früher

Auf die Frage, ob die Digitalisierung den Modellbau mehr und mehr verdränge, hat Kamm eine klare Antwort: «Das ist nicht so!» Bereits vor 30 Jahren, als die ersten Rechner in die Büros eingezogen sind, sei die Frage im Raum gestanden: Hat dieser Beruf über- haupt eine Zukunft? «Doch das Auftragsvolumen hat in den letzten Jahren eher zugenommen.» Der Beruf habe sich jedoch verändert, führt Kamm aus. Früher hätten sie noch mehr Innenraummodelle gemacht, was heute fast nur noch mit dem CAD-Programm visualisiert werde. Doch am Bildschirm bleibt ein Objekt nun mal immer zweidimensional. Die Leute trauen aber heute dem digitalen Bild nicht mehr, so Kamms Erfahrung. «Das Modell vermittelt eine sinnliche Erfahrung. Man schaut mit den Händen, erfährt das Gebäude durch Abtasten. Es macht den Bau begreifbar.» Modelle brauche es also mehr denn je, verändert hat sich durch die technische Entwicklung vor allem die konkrete Arbeit des Modellbauers.

Digitale Hilfen für reale Modelle

Was für den Modellbauer früher der Pinsel war, ist heute die Spritzpistole und anstelle des Messers tritt ein vollautomatisierter 2,5-D-Fräs-Schneideplotter. Dieser hat die Modellbauwerkstatt vor rund einem Jahr erstanden. Der Plotter schneidet, fräst und graviert die verschiedensten Materialien. Die Daten kann der Modellbauer direkt aus den verschiedenen Bearbeitungsprogrammen wie Illustrator oder Auto-Cad an die Steuersoftware des Plotters übergeben.

Diese hochmoderne Technik könnte morgen jedoch bereits wieder veraltet sein, denn die volle 3-D-Bearbeitung ist heute bereits ein wichtiges Thema. «In diesem Prozess sind wir auch im Modellbau zunehmend gefordert.» Momentan ist gemäss Kamm die 3-D-Drucktechnik jedoch noch nicht ausgereift: «Der Ablauf ist noch zu analog zum normalen Druck. Ausserdem ist die Oberflächenqualität für unsere Ansprüche im Architektur-Modellbau noch ungenügend.» Zudem fehle auch die andere Seite. Viele Kunden wären noch gar bereit für eine 3-D-Planung. Darum ergibt die Anschaffung eines 3-D-Druckers für die Modellwerkstatt noch keinen Sinn. «Es gilt jedoch, den richtigen Zeitpunkt, sich in diesen Pro- zess einzuklinken, nicht zu verpassen», meint Kamm. Er glaubt, dass dieser in den nächsten zwei bis drei Jahren sein wird.

Bereits in Planung ist in Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Institut für Informationswissenschaft der HTW ein Digitalisierungslabor. In diesem soll eine hochauflösende Bildbearbeitung möglich sein. Neben dem allfälligen 3-D-Drucker und einem professionellen Fotostudio soll dem Labor auch ein 3-D-Scanner zur Verfügung stehen. «Somit könnten wir dem Kunden ein sinnvolles Rundum-Paket anbieten. Das Know-how ist bereits vorhanden.»

Höhere Semester schätzen Modellbau

Neben den Dienstleistungen nach aussen hat die Modellbauwerkstatt auch noch einen zweiten Aufgabenbereich – die Studentenbetreuung. Die Modellbauer unterstützen die angehenden Architekten und Ingenieure bei ihren Projekten im Studium. Sie erstellen beispielsweise die Grundlagenmodelle, worauf die Studenten später ihre Projekte realisieren können. Ausserdem haben diese die Möglichkeit, Modellbau als Wahlfach zu belegen. «Nach Besuch des Wahlfachs ist ein enormer Unterschied in ihren Arbeiten zu erkennen, das ist sehr spannend», meint Kamm. Meistens seien es eher die oberen Semester, die dieses Fach belegen. «Die Erstsemestler haben noch das Gefühl, das brauche man nicht.»

Offizielles Graubünden hat Werkstatt noch nicht entdeckt

Auch wenn es an Aufträgen nicht mangelt, etwas ist Kamm aufgefallen : «Von der Stadt Chur oder dem Kanton Graubünden haben wir bis jetzt noch nie direkt einen Auftrag erhalten.» Grundsätzlich erachtet er es als eine Gratwanderung, wenn eine Fachhochschule Dienstleistungen anbietet. Einerseits dürfe die Realwirtschaft nicht konkurrenziert werden, andererseits sei es unabdingbar, Dienstleistungen anzubieten, die der wirtschaftlichen Forschung dienen.

Natalie Achermann (Januar 2012)

Diesen Bericht habe ich für das Magazin der HTW Chur «Wissensplatz» als freie Mitarbeiterin geschrieben. Die entsprechende Ausgabe als PDF kann hier heruntergeladen werden: Wissensplatz Ausgabe 1/2012

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